Knisternde Spannung über dem Hegau

Herren: Favoriten aus drei Disziplinen

 

 

Bei den Herren ist die Ausgangslage vor den UCI Mountainbike Marathon Weltmeisterschaften in Singen wohl so spannend wie nie zuvor, da sich etliche Cross-Country-Spezialisten ins Fahrerfeld mischen und der 98 Kilometer lange Kurs beim Hegau Bike-Marathon sehr viele Optionen offen lässt. Ein kleiner, sicher am Ende auch lückenhafter Streifzug durch das Favoriten-Portfolio und durch die deutschen Hoffnungen. 

 

Wenn man vor den 15. Marathon-Weltmeisterschaften der Radsport-Geschichte nach den Favoriten bei den Herren fragt, dann hört das nicht bei einem, zwei oder drei Namen auf, sondern es geht weiter. Der Bronze-Medaillengewinner des Vorjahres, der Tscheche Kristian Hynek von Topeak-Ergon bringt es so auf den Punkt: „Ich glaube, es gibt mindestens zehn Fahrer, die Weltmeister werden können. Auf dieser Strecke haben viele eine Chance und man braucht einfach auch Glück, um dabei zu sein, wenn die richtige Gruppe geht.“

 

Dass die Palette an potenziellen Weltmeistern so groß ist, liegt einerseits am schnellen Kurs mit seinen vergleichsweise kurzen Anstiegen in der Vulkanlandschaft des Hegau und daran, dass die Fahrzeit auf den zweimal 49 Kilometern bei den Herren vergleichsweise geringe dreieinhalb Stunden beträgt, man das Rennen also auch kaum über die Distanz entscheiden kann.

 

Anderseits ist die WM so stark besetzt wie es eine Marathon-Weltmeisterschaft vorher wohl noch nie war. Das klingt erst mal merkwürdig, weil eine WM eigentlich immer mit den Besten der Besten besetzt sein müsste, doch in diesem Fall mischen sich eben noch Spezialisten aus zwei anderen Disziplinen unter die Marathon-Cracks.

 

Aus dem Cross-Country-Lager kommen Größen wie London-Olympiasieger Jaroslav Kulhavy, der 2014 schon Marathon-Weltmeister war und 2015 in Singen auch Europameister in dieser Disziplin wurde, aber auch U23-Weltmeister Sam Gaze aus Neuseeland, der im Vorjahr in Singen dem zweifachen Marathon-Weltmeister Alban Lakata Paroli bis zum Zielsprint Paroli geboten hat. Und der sagt: „Die Marathon-WM ist dieses Jahr mein ganz großes Ziel. Ich will Weltmeister werden.“

 

Cross-Country-Spezialisten: Milatz, Fumic, Flückiger,...

Aus der Schweiz sind mit Nicola Rohrbach und Lukas Flückiger zwei etatmäßige Cross-Country-Fahrer am Start, die auch das Zeug haben, vorne mitzumischen.

Dass neben dem Freiburger Moritz Milatz, der 2012 schon Vize-Weltmeister auf der Langdistanz war, auch der Kirchheimer Manuel Fumic seine WM-Premiere auf der Langdistanz feiert, spricht Bände. Er nutzt es als Training und will seinen Cannondale-Teamkollegen Henrique Avancini aus Brasilien unterstützen. Den hält er für einen Medaillenkandidaten. „Ich habe keine großen Ambitionen, aber nur der Domestike bin ich auch nicht“, sagt Fumic. Wer weiß was passiert?

 

Das Rennen ist kaum berechenbar. Die Italiener schicken auch eine schlagkräftige Truppe ins Rennen, zum Beispiel Juri Ragnoli, der am Sonntag den Sella Ronda Hero mit fast sieben Minuten Vorsprung auf den Kolumbianer Hector Paez gewonnen hat.

 

Dann kommt da mit Mathieu van der Poel (Beobank-Corendon) noch einer hinzu, der aus einer weiteren, anderen Radsport-Disziplin stammt. Van der Poel war vor zwei Jahren der jüngste Cyclo-Cross-Weltmeister aller Zeiten, im Januar wieder Zweiter bei der WM, kommt aber auch mit der Empfehlung dreier Siege auf Straße in den vergangenen Wochen und mit einem zweiten Platz vom Cross-Country-Weltcup in Albstadt. Er lässt für die WM die Straßen-Meisterschaften in den Niederlanden aus. „Ich glaube, dass ich die Weltmeisterschaften gewinnen kann“, sagt van der Poel. Und es zweifelt kaum einer daran, dass das so ist.

 

Was man von José Antonio Hermida, der seine Cross-Country-Karriere beendet hat, erwarten kann? Das weiß er vermutlich selber nicht. „Ich habe viel trainiert, bin aber wenig Rennen gefahren. Ich werde mal fischen im Fluss und sehen, ob ein gutes Ergebnis für mich rauskommt“, sagt er.

 

Vom Titelverteidiger Tiago Ferreira aus Portugal hat man die vergangenen Wochen wenig gehört, doch Kontrahent Alban Lakata traut ihm auf dem Hegau-Kurs auch was zu. „Der kann schon große Gänge treten“, sagt der Österreicher, für den das selber auch gilt. Er hat in Singen schon dreimal gewonnen, weiß also auf was es ankommt.

 

Sein Landsmann Daniel Geismayr (Centurion-Vaude) hat zuletzt bei der Alpentour-Trophy stark aufgetrumpft. „Ich denke, der Kurs könnte was für mich sein – wenn alles passt. Es kommt auf so viele Faktoren an, die es sehr schwer machen, richtig einzuschätzen, wann ein guter Zeitpunkt ist, um aktiv zu werden, damit man am Schluss erfolgreich ist. Ich aber habe alles Mögliche dafür getan, speziell auch für diese Strecke trainiert“, meint der Profi aus Dornbirn.

 

Die deutschen Karten im Spiel

Bei seinem deutschen Teamkollegen Jochen Käß steigt die Formkurve derzeit deutlich an. Am Sonntag gewann er den Marathon-Klassiker Ultra Bike in Kirchzarten. „Die Form wird von Tag zu Tag besser“, bestätigt Käß, während Markus Kaufmann im Blick auf seine Aussichten eher skeptisch ist. Obschon er in Singen schon mal Deutscher Meister geworden ist. „Eine WM ist halt was anderes“, sagt Kaufmann.

 

Bleibt man im deutschen Lager, dann darf man auch auf das Abschneiden von Sascha Weber gespannt sein. Der Saarländer wurde in Kirchzarten von Käß nach 117 Kilometern erst im Sprint geschlagen und hat dieses Jahr schon bei etlichen Marathons Podiums-Plätze belegt.

„Ich bin in guter Verfassung und ich gehe mit einem guten Gefühl zur Heim-WM“, so Weber, aber er versucht die Erwartungen nicht zu hoch zu schrauben, nachdem er vor zwei Jahren bei der EM in Singen hinter Kulhavy Zweiter geworden ist.

„Es kommen so viele für die Medaillenränge in Frage. Ich will einfach ein gutes Rennen fahren. Es kommen ja noch viele wichtige Events dieses Jahr.“

„Da kannst du am Ende alles haben oder nichts. Es ist schwer zu sagen, aber am Schluss brauchst du immer noch was im Tank“, meint Moritz Milatz, der 2012 ja schon mal Marathon-Vizeweltmeister geworden ist.

Der Freiburger hat sich in den vergangenen Wochen ganz langsam gesteigert. Dass er die Marathon-WM überhaupt fährt, hat aber mit dem Heimspiel zu tun. So oft hat ein Athlet nicht die Chance eine Weltmeisterschaft im eigenen Land zu fahren und noch dazu nicht all zu weit weg.

„Ich freue mich da drauf und bin ganz zuversichtlich“, sagt Milatz, was auch immer das dann im Endeffekt heißt. Medaillenhoffnungen macht er sich nicht, dafür kommen eine ganze Anzahl andere Biker in Frage.

 

Dann gibt es da auch noch einen Simon Stiebjahn. Dass der 27-Jährige aus Titisee-Neustadt gegen die ganz Großen bestehen kann? Das trauen ihm vielleicht wenige zu, aber Stiebjahn hat schon häufiger überrascht. Der Allrounder kommt mit dem Selbstvertrauen von drei Saisonsiegen, zuletzt am Sonntag bei der Cross-Country-Bundesliga in Wombach, und war im Vorjahr bei der EM schon Vierter. „Die Unübersichtlichkeit ist vielleicht meine Chance und wenn es zum Sprint einer Gruppe kommt, dann muss mich erst mal jemand schlagen“, meint Stiebjahn, der sich aber realistisch ein Top-Ten-Ergebnis erhofft.

 

Er hat beim Team Bulls einen Teamkollegen an seiner Seite, der auch eine gute Rolle spielen kann: Lokalmatador Tim Böhme, der in seiner Heimatstadt wohl so motiviert ist, wie noch nie zuvor bei einem Rennen. „Es ist so schwierig, was vorherzusagen. Es kann sein, ich fahre das Rennen meines Lebens und werde 20.“, versucht er diese Unberechenbarkeit zu illustrieren.

 

Wer dann im Team Bulls wen unterstützt, das bleibt offen. Genauso wie die Frage, ob die nationale oder die Team-Karte gespielt wird.

 

„Das hängt von der Situation ab. Ich verstehe mich gut mit Jaroslav, aber natürlich auch mit meinem Teamkollegen Alban. Doch es ist eine WM und da opfert man sich erst mal nicht für einen anderen Fahrer“, sagt beispielsweise Kristian Hynek.

Das macht die Angelegenheit noch verworrener. Mountainbiken, das ist eben eine Individualsportart, bei der Team-Taktik nur höchst selten und dann auch nur situativ eine Rolle spielt.

Es ist angerichtet für eine knisternd spannende 15. Marathon-Weltmeisterschaft.

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